Dr. Koch zur aktuellen Lage

Zollstreit: Machtpolitik schafft keinen Wohlstand 

„Nach meiner Auffassung steckt die Welt voll unermesslicher Chancen, wenn wir sie nur zu nutzen verstehen würden. Der Segen ist kaum auszudenken, der aus einer freien weltwirtschaftlichen Politik erwachsen könnte.“ Diese Worte aus Ludwig Erhards „Wohlstand für Alle“ sind der zeitlose Ausdruck einer friedlichen, wachsenden und sozialen ökonomischen Weltordnung. Das alles ist gerade in Gefahr. Jeder von uns spürt es emotional, aber auch alle ökonomischen Daten unterstreichen leider diesen Eindruck. 

Handlungsoptionen in chaotischen Zeiten 

Wenn man in der Vergangenheit den amerikanischen Präsidenten als die mächtigste Person der Welt bezeichnete, so wurde die Aussage meist mit einer Karikatur versehen. In diesen Tagen erleben wir allerdings, dass diese Macht real ist. Ohne Beschluss des US-Kongresses, offenbar in Konflikt mit der eigenen Notenbank und ausschließlich basierend auf „Executive Orders“ des Präsidenten versetzen die USA die Weltwirtschaft in Turbulenzen.  
Wenn wir in diesen Tagen vor allem auf die Börsen schauen, sollten wir nicht unterschätzen, welche Auswirkungen die Entscheidungen des US-Präsidenten auch in Bezug auf die Einstellung aller Entwicklungshilfe, den Stopp der weltweiten Gesundheitsprogramme oder die Aufgabe des globalen Schutzsystems gegen gefährliche Schwachstellen in Computerprogrammen haben werden. Im Augenblick befinden wir uns im maximalen Sturm einer disruptiven Deglobalisierung. Die lineare Fortschreibung der letzten vier Wochen bedeutet globale Rezession, Chaos in den ärmsten Ländern und die Aufgabe der in Jahrzehnten mühsam gefundenen Regeln internationaler Kooperation. 

Verantwortliche Politik hat aber nach wie vor andere Optionen als die lineare Fortschreibung des Chaos. Globale Politik ist keineswegs am Ende. Die drei notwendigen Stichworte, die ich jedem politischen Entscheider der freien Welt außerhalb der USA in diesen Tagen gerne immer wieder auf den Tisch legen würde, lauten: GEDULD, KOMPROMISSE und STARKE NETZWERKE.  

GEDULD 

 Nach dem sogenannten „Liberation Day“ dauerte es keine 36 Stunden, bis die Refinanzierung der amerikanischen Staatsschulden unter Druck geriet und keine weiteren zehn Stunden, bis die meisten Zölle schon mal für die kommenden 90 Tage aufgehoben wurden. Das erste Zusammentreffen von isolationistischer Machtpolitik und internationalen Kapitalmärkten zeigte, dass eine isolierte USA ihre Handlungs- und Verschuldungsfähigkeit einbüßt. Die Sprache der ökonomischen Interessen hat Gewicht. Dennoch muss man ernst nehmen, was Präsident Donald Trump mit seinem Versprechen der Rückkehr des „Gilded Age“ und seiner Verehrung für den letzten Präsidenten dieser Epoche, William McKinley (amtierte von 1897 bis 1901), vor Augen hat. So betonte er seit Amtsantritt mehrfach: „Wir waren von 1870 bis 1913 am reichsten. Damals erhoben wir Zölle“. Und in der Tat gibt es Parallelen, denn wie damals üben Milliardäre und Industriekapitäne erheblichen Einfluss auf Politik und Regierung aus. Es ist eben auch so, dass das Ganze gar nicht gut endete. Eine schwere wirtschaftliche Depression ließ Unternehmen zusammenbrechen, die Arbeitslosigkeit steigen und führte zu Unruhen.  

Einen Ausweg gibt es nur, wenn Trump seine Politik nicht auf Zölle, sondern auf Deregulierung und Ausgabenkürzungen fokussieren würde; wenn er das Staatsdefizit maßgeblich reduziert und die Notenbank die geldpolitischen Zügel in Zukunft straff hält. Dann wären die US-Unternehmen zu Effizienzsteigerungen gezwungen und die USA würde ebenso viel produzieren, wie sie konsumieren. So könnte das Land von einem starken Dollar und  von einem regelbasierten Welthandel profitieren. Es gibt trotz aller Irrationalitäten dieser Tage keinen Grund, eine solche Entwicklung für unmöglich zu halten. 

KOMPROMISSE 

Die Signale, die die Europäer dieser Tage aus Washington hören, sind keineswegs eindeutig. Da singt Trump-Berater Peter Navarro das alte Lied des „Gilded Age“. Gleichzeitig versendet Trump-Berater Elon Musk Tweets über seinen Traum von einem Leben ohne Zölle, jedenfalls ohne Zölle zwischen den USA und Europa. Immerhin hat Vietnam Trump einen solchen „Deal“ angeboten und die Europäer haben für den Industriegüter-Bereich vergleichbares vorgeschlagen. Das ist ein kluger Anfang, jedenfalls könnte  es so gelingen, nicht nur in dem destruktiven Spiel der Zölle und Gegenzölle immer größere Wohlstandsschäden auszulösen, sondern die Hand auszustrecken. 

Allerdings muss auch die Europäische Union ihre Hausaufgaben machen. Denn ganz so unschuldig ist auch diese Seite des Atlantiks nicht. Europas Handelspolitik ist janusköpfig: Freihandel als Leitbild, Protektionismus in der Praxis. Der Hinweis, dass der Zoll auf Automobile in Europa achtfach höher ist als in den USA gehört zur Wahrheit. Wenn man sich technische Standards, die Vorgaben bezüglich der Verwendung einzelner Chemikalien in Produkten, die Verpflichtung zur Auszeichnung von Produkten und Gebrauchsanweisungen ansieht, sind wir weit von einer gegenseitigen Anerkennung entfernt. Weine mit den traditionellen US-Kategorien wie „Tawny" oder „Rubin" kommen so einfach nicht über Europas Grenzen. In diese Kategorie fällt auch noch immer das „Chlor-Hühnchen", obwohl bei uns die gleiche Methode bei Salat gilt. Der wahre Grund dafür ist das Agieren der Agrar-Lobbyisten, ebenso wie sie es bei Rindfleisch aus Südamerika tun. Die bindungslose wechselseitige Anerkennung gegenseitiger Standards verbunden mit der Pflicht zur sichtbaren Kennzeichnung für Verbraucher wäre ein Angebot, das Trump jedenfalls provozieren würde, darüber nachzudenken. Der Weg wird für beide steinig, aber er wäre  allemal besser als ein eskalierender Handelskrieg. 

STARKE NETZWERKE 

 Eines wissen wir heute. Die Bündnisse der Vergangenheit sind nicht so beständig und krisensicher, wie wir dachten. So unbequem es sein mag, die Beseitigung unkontrollierter Abhängigkeiten bedeutet die Schaffung neuer Netzwerke - global, aber vor allem auch in und um Europa.  Wir müssen einen einheitlichen und geschützten Wirtschaftsraum entwickeln, der einerseits groß genug ist, um wirtschaftlich notwendige Skaleneffekte innerhalb dieses Raums generieren zu können. Andererseits muss dieser Raum groß genug sein, um im Wettbewerb mit den anderen großen globalen Wirtschaftsräumen auf Augenhöhe zu sein. Die derzeitige Europäische Union allein ist für diese Ziele zu klein, zu zersplittert, zu schwach. Heute noch in der Wirtschaftskraft anderen größeren Regionen überlegen, wird das durch das Wachstum in anderen Regionen und das altersbedingte Schrumpfen der Bevölkerung in Europa immer ungünstiger werden. Die Fortentwicklung des europäischen Wirtschaftsraums – einer vertieften Freihandelszone nach dem Vorbild der EFTA – muss Vorrang haben. Mit Großbritannien, der Ukraine, der Türkei, Israel und langfristig auch mit nordafrikanischen Staaten kann so eine wirtschaftliche Einheit entstehen, die global Gewicht hat. Sie zu entwickeln erfordert die Überwindung mancher Hürde, aber ein solches Projekt gehört zu den Grundbedingungen einer erfolgreichen neuen großen Strategie Deutschlands und Europas.  

Schaden für alle abwenden 

Zölle sind nicht immer nur des Teufels. Einfuhr- und Ausfuhrzölle können in Einzelfällen, gerade bei sich entwickelnden Wirtschaften oder in direkter Konkurrenz zwischen freien Märkten und den Staatswirtschaften gerechtfertigt sein. Als Machtdemonstration einer der größten und am meisten entwickelten Volkswirtschaften der Welt sind sie nicht nur unbrauchbar, sie schaden allen, auch und vor allem dem Initiator.