Meinung von Dr. Roland Koch zur Rentenreform

Eine Rentenreform in die falsche Richtung 

In diesen Tagen wird im Deutschen Bundestag über eine weitere Rentenversicherungs-Reform beraten, über das sogenannte Rentenpaket II. Obwohl diese Debatte besonders die Jüngeren auf den Plan rufen sollte, ist es erstaunlich ruhig. Dabei geht es um beträchtliche Sozialabgaben, um den größten Kostenblock im Bundeshaushalt und nicht zuletzt um die Höhe der in zwei, drei oder vier Jahrzehnten erzielbaren eigenen Rente. Bei allen Aspekten sieht es auf den ersten Blick düster aus. Schnell steigende Abgaben und höhere Mittel aus dem Bundeshaushalt kombinieren sich mit einer sehr riskanten Prognose für ein auskömmliches Altersruhegeld aus dem staatlich organisierten Rentensystem. 

Bis 2040 sieht Deutschland der bislang größten Verrentungswelle entgegen – mit immer weniger Berufstätigen, die zeitgleich die Renten der wachsenden Rentnerzahl finanzieren müssen. Denn nach den Entscheidungen, die vor rund 70 Jahren Konrad Adenauer – auch gegen Warnungen von Ludwig Erhard – durchboxte, werden die aktuellen Rentenzahlungen weitestgehend durch Beiträge der gegenwärtig aktiven Erwerbstätigen finanziert. 

„Weiter so“ hilft nicht weiter 

Trotz dieser schwierigen Perspektive setzt die Bundesregierung auf ein trotziges „Weiter so!“ und friert das Rentenniveau bis mindestens 2039 bei den derzeit geltenden 48 Prozent ein. Gemeint ist, dass eine Standardrente für Rentenversicherte, die 45 Jahre lang Beiträge auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens bezahlt haben, 48 Prozent eines durchschnittlichen Arbeitnehmer-Einkommens betragen soll – ohne Rücksicht auf die Zahl der Beitragszahler.  

Das ist ein dramatischer Rückschritt. Die Einführung des die Demographie berücksichtigenden Nachhaltigkeitsfaktors war Teil von Gerhard Schröders Agenda 2010, einer im Jahr 2003 angestoßenen, umfassenden Reformpolitik der damaligen rot-grünen Bundesregierung. SPD und Die Grünen haben das realistische Konzept geschaffen, dass sie jetzt zerstören. Auch die damalige CDU/CSU-Opposition stimmte der Reform zu, da sie ebenfalls die Notwendigkeit sah, das Rentensystem langfristig zu stabilisieren. Die Idee der Schröder-Regierung war, die Lasten der Alterung auf Rentenempfänger und Beitragszahler einigermaßen fair aufzuteilen. 

Den neuen Plänen zufolge sollen die Erwerbstätigen, und damit vor allem die heutige junge Generation, künftig die Last allein tragen. Denn die 48 Prozent-Garantie wird die Beiträge, die derzeit bei 18,6 Prozent des beitragspflichtigen Arbeitseinkommens liegen und je hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt werden, laut Schätzungen der Deutschen Rentenversicherung schon bis 2035 auf über 22 Prozent, nach 2040 sogar auf 25 Prozent steigen lassen. 

Schon heute reichen die Beiträge allerdings nicht mehr. 112 Milliarden Euro fließen im Jahr 2024 aus dem Bundeshaushalt als Zuschuss – und damit faktisch als Subvention – in die Rentenversicherung. Auch hierfür kommen, über ihre Steuern, vor allem die aktiven Generationen auf; und auch dieser Betrag dürfte steigen. 

Rentenpolitik: Eine Geschichte falscher Weichenstellungen 

Der Rentenreform-Entwurf, den auch die FDP-Mitglieder der Bundesregierung mit beschlossen haben und der – jedenfalls zurzeit –, innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion dennoch sehr umstritten ist, enthält keine der notwendigen Weichenstellungen. Der Entwurf nimmt weder Rücksicht auf die steigenden Belastungen der Wirtschaft noch auf die absehbaren Kosten für die jüngere Generation. Die Konzentration auf die Umlagefinanzierung im Jahr 1957 war mit Blick auf die schrumpfende Erwerbsbevölkerung ein fast irreparabler Fehler.  

Weitere Fehler kamen hinzu. Die umstrittene Rentenreform der 1970er Jahre unter Walter Arendt (SPD), damals Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, verursachte durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze und die Verbesserung der Rentenansprüche erhebliche strukturelle Kostensteigerungen im Rentensystem. Diese Entwicklungen erwiesen sich langfristig als problematisch und führten dazu, dass in den folgenden Jahrzehnten – bis heute – immer wieder Reformen notwendig wurden, um die finanzielle Stabilität des Rentensystems zu sichern. Mit der Mütterrente und der Möglichkeit zur Rente mit 63 wurden in den letzten Jahren vielleicht wünschenswerte, aber nicht gegenfinanzierte Schritte gegangen. Vor diesem Hintergrund ist die Festschreibung eines finanzierungsunabhängigen Rentenniveaus ein weiterer folgenschwerer Fehler. 

Es gibt Vorbilder, die es besser machen 

Diese Position kann den Beziehern von Renten aus dem staatlich organisierten System selbstverständlich nicht gefallen. Länder mit zumindest teilweiser Kapitaldeckung können ihren Bürgern eine bessere Altersversorgung bieten. Ein Blick in die Niederland kann neidisch machen. Im Durchschnitt erreichen niederländische Rentner etwa 70 bis 80 Prozent ihres letzten Netto-Einkommens im Ruhestand. Zwei Säulen ermöglichen ein hohes Rentenniveau. Dabei erbringt das umlagefinanzierte Verfahren (AOW, erste Säule) etwa 25 bis 30 Prozent der gesamten Altersversorgung. Das kapitalgedeckte Verfahren (Betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule) trägt etwa 70 bis 75 Prozent zur Altersversorgung bei, wobei die Rentenhöhe von den erzielten Kapitalerträgen abhängt. In eine solch günstige Situation werden wir in Deutschland leider für Jahrzehnte nicht kommen. Das ist aber keine Begründung, es nicht so gut wie möglich dennoch nachzuholen. Es ist ein Jammer, wie aus Angst – vor allem der Gewerkschaften – vor dem Auf und Ab der Kapitalmärkte und aus vermeintlicher Sparsamkeit mancher Arbeitgeber die Chance der betrieblichen Altersversorgung so wenig genutzt wird. Einige der Milliarden des Rentenzuschusses aus der Bundeskasse wären hier in Form von Steuervergünstigungen besser angelegt. 

Der nächste Punkt ist für die Politik gerade angesichts wachsenden Einflusses radikaler Parteien eine besondere Herausforderung. Zentrales Element einer jeden Rentenreform muss eine prinzipielle Koppelung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung sein. Sollten die Spielräume der Politik hierfür kurzfristig zu eng sein – und danach sieht es momentan aus –, müssen spürbare finanzielle Anreize zu einer längeren Lebensarbeitszeit die Folgen schmälern. 

Realistische Rentenpolitik erfordert schwierige Entscheidungen 

Weitere Punkte gehören ebenso zu einer ehrlichen Analyse, etwa eine Bindung der Erhöhung von Bestandsrenten an die Inflation anstatt an die Lohnentwicklung. Auch die Einschränkung des Zugangs zur abschlagsfreien Frührente für Versicherte mit mindestens 45 Beitragsjahren müsste bedacht werden: Eine Beschränkung auf Versicherte mit dauerhaft geringen Rentenansprüchen oder gesundheitlichen Problemen wäre hier zumutbar. 

Vor einigen Jahren gab es noch die politische „Garantie“ einer Haltelinie von maximal 40 Prozent für die gesamten Sozialbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Aufgabe dieser Linie seit 2021 kostet den Standort Deutschland Arbeitsplätze und damit Wohlstand. Der Bundeshaushalt wird einen weiteren prozentualen Anstieg der Sozialhaushalte ohne nennenswerte Steuererhöhungen nicht verkraften. Und auch die kosten wiederum Arbeitsplätze und Wohlstand. 

Die Bestrebungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner, in einem falschen Rentengesetz wenigstens einen kleinen Anfang einer Kapitaldeckung sichtbar zu machen (Stichwort Generationenkapital), ist aller Ehren wert. Aber in der vorgesehenen Variante wird der Aufbau des Fonds durch öffentliche Schulden finanziert, und der Beitrag an die Rentenfinanzierung wird im Vergleich zur betrieblichen Altersversorgung über lange Zeit gering bleiben. Insgesamt reicht dieses kleine Zugeständnis nicht aus, ein in so erheblichem Ausmaß falsches Gesetz mit einer schwer erträglichen Botschaft an alle Leistungsträger – nicht zuletzt an die jüngeren –zu beschließen.